19.7.2022
Von Katrin Steinert
Koblenz. Ingo Hannes hat als Anästhesist, Schmerz- und Palliativmediziner schon viele Patienten leiden sehen, die am Ende ihres Lebens stehen. Die meisten der unheilbar und schwerst Kranken möchten nämlich in ihrem Zuhause sterben, berichtet er - und dies, auch wenn sie dort überwiegend allein und somit schlecht versorgt sind. In den meisten Fällen scheitert es am Geld. Hannes berichtet, dass selbst jemand, der eine intensive Pflege erhält – bei dem Fachpflegekräfte, Hausarzt und ambulante Hospizhelfer täglich vorbeischauen –, mehr als 20 Stunden des Tages sich selbst überlassen ist. Um hier eine Lücke zu schließen, hat der Mediziner, der eine Gemeinschaftspraxis in der Koblenzer Vorstadt hat, mit weiteren Mitstreitern im Jahr 2020 die Stiftung Palliativ zu Hause gegründet. Wir beantworten sieben Fragen zu dem Thema.
Die eigentliche Idee ist, unheilbar und schwerstkranke Menschen finanziell zu unterstützen, die sich keine 24-Stunden-Betreuung zu Hause leisten können. Der Vorsitzende Ingo Hannes erklärt: „Es geht darum, dass die Patienten diese Hilfe finanziert bekommen.“ Die Stiftung übernimmt einen Teil oder die gesamten Kosten. „Das ist teilweise auch als Darlehen gedacht“, erläutert er. Wer nicht liquide ist, bei dem springt die Stiftung ein. „Und wenn es zum Erbe kommt, erhält die Stiftung einen Teil oder alles zurück.“
Hannes nennt ein Beispiel: Ein Schwerstkranker, der nur noch drei Monate leben wird, wird von einer Pflegefachkraft betreut, die bei ihm wohnt, damit er gut versorgt zu Hause sterben kann. Ingo Hannes schätzt den finanziellen Aufwand auf 6000 bis 10 000 Euro. „Das übernimmt die Stiftung“, erläutert er. Ob und wie viel davon zurückgezahlt wird, ist unterschiedlich. „Wie wir vorgehen, wird im Vorfeld mit dem Patienten und, so vorhanden, den Angehörigen besprochen und festgelegt“, sagt Hannes.
Wer genau von der Stiftung unterstützt wird, entscheiden die Mitwirkenden. Palliativarzt Ingo Hannes sagt, dass man pflegebedürftig sein muss und zu Hause bleiben möchte. Man muss einen zusätzlichen Pflege- und Bedeutungsbedarf haben und finanziell nicht in der Lage sein, diesen (aktuell) zu bezahlen. Das können auch Menschen sein, die zwar ein Eigenheim haben, deren Rente aber nicht ausreicht, um die Pflege zu finanzieren.
„Vorab erfolgt eine Selbstauskunft, wir gucken uns jeden Fall genau an“, betont Hannes. Dann wird ein Vertrag über ein Darlehen oder eine Zuwendung aufgesetzt. Wenn die Betreuung endet, etwa durch den Tod des Patienten oder weil er sich so stabilisiert hat, dass die Betreuung nicht mehr notwendig ist, wird der Vertrag eingelöst.
Die Stiftung wurde im Sommer 2020 gegründet. In den vergangenen zwei Corona-Jahren war das Team um Ingo Hannes vor allem damit beschäftigt, Förderer, Spenden und Zustiftungen aufzutreiben sowie Konzepte zu erstellen und rechtliche Dinge abzuklären. Nun geht es darum, die Stiftung bekannter zu machen, um weitere Unterstützung, aber auch Patienten zu finden, die Hilfe benötigen. Vorsitzender Hannes sagt aber: „Bis wir ein gutes finanzielles Polster haben, wird es dauern.“ So lange könne man nur punktuell helfen. „Aber für jede dieser Seelen ist es das wert“, meinte er. So blickt der Palliativmediziner hoffnungsvoll nach vorne: „Irgendwann werden es sehr viele sein.“
Das Stiftungsteam hat mittlerweile beschlossen, selbst auch qualifizierte Fachpflegekräfte anzustellen, die die Versorgung der Patienten teilweise mit gewährleisten. In etlichen Fällen reicht es schon, wenn zwei, drei Stunden oder die ganze Nacht übernommen werden, um Angehörige zu entlasten oder die Betreuung eines alleinstehenden Schwerstkranken deutlich zu verbessern, schildert Hannes. Aktuell ist bereits eine Pflegekraft eingesetzt. Das läuft gut und soll ausgebaut werden.
Zudem soll die Stiftung langfristig auch bei der Logistik und Suche von Fachpflegekräften, die sich um die Palliativpatienten zu Hause kümmern, unterstützen. „Natürlich werden diese dann nicht schwarz, sondern legal beauftragt“, erklärt der Mediziner.
Hannes berichtet, dass osteuropäische Pflegehilfskräfte, die schwarz arbeiten und bei den Patienten wohnen, etwa 1500 bis 2000 Euro im Monat bekommen. Wenn legale Hilfe über anerkannte Agenturen vermittelt wird, werden schnell 3000 Euro und mehr fällig. Hannes fragt: „Wer kann sich das leisten?“ Er schätzt, dass nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung in der Lage sind, 3000 Euro und mehr im Monat dafür auszugeben.
Ingo Hannes ist für den Palliativstützpunkt Koblenz – Neuwied – Mittelrhein verantwortlich. Das Team betreut, pflegt und berät Palliativpatienten und deren Angehörige. „Wir sehen, wie schwerstkranke Menschen zu Hause versorgt sind und woran es vielleicht scheitert, dass sie nicht gut versorgt sind.“ Hannes berichtet, dass diese Patienten entweder in prekären Situationen sind, weil sie viele Stunden allein zu Hause sein müssen. Falls sie beispielsweise hinfallen, werden sie erst Stunden später gefunden, wenn die Pflegekraft vorbeikommt. Oder sie haben beispielsweise einen Notrufknopf. „Aber nicht immer, wenn man trinken will, will man diesen Knopf drücken“, sagt der 53-Jährige. Ingo Hannes bezeichnet diese Versorgungssituationen als schlecht. „Aber die Patienten machen das, weil sie unbedingt zu Hause bleiben wollen.“
Die Stiftung möchte irgendwann unabhängig von Spenden helfen können, sagt Hannes. Deshalb soll sie einen Teil selbst erwirtschaften. Geplant ist der Aufbau von Pflegeintensivwohngruppen. Die Gewinne fließen in die Stiftung und kommen den Patienten von Palliativ zu Hause zugute. Der Palliativmediziner betont, dass „eine hochqualitative Versorgung in den Gruppen gewährleistet“ wird. Zwar gibt es solche Wohngruppen bereits. Diese arbeiteten aber laut Hannes oftmals sehr wirtschaftsorientiert, was auch dazu führt, dass es mehr um Profit als um das geht, was die Patienten brauchen, beispielsweise das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen, damit sie sterben dürfen. „In diesen Fällen gibt es keine Aufklärung der Arbeit oder intensive Gespräche mit Angehörigen.“ Hannes betont: „Wir wollen ein gutes Gegenbeispiel schaffen.“
In der Behandlung von Palliativpatienten werden deren Symptome und Leiden wie etwa starke Schmerzen oder Luftnot gelindert, wie es beispielsweise im Endstadium einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Krebserkrankung vorkommt. Die Versorgung erfolgt im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause. Seit 2007 haben gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Der Gesetzgeber sieht diese bei Schwerstkranken mit begrenzter Lebenserwartung und einem besonders aufwendigen Versorgungsbedarf vor – daheim oder in Pflegeheimen. So sollen die Patienten in vertrauter Umgebung sterben können. Die Leistung wird von einem Arzt verordnet und von SAPV-Teams erfüllt.
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